Nie wieder lächeln?

 

 

Ich sitze in der U-Bahn, der Platz neben mir und die beiden vis-à-vis sind frei. Meistens gelingt es mir, einen Vierer-Platz für mich allein zu haben. Auf meiner Strecke ist nicht viel los.

 

„Liebe Fahrgäste, bedecken Sie Mund und Nase. Dear Passengers, cover your mouth and nose“ kein „Bitte“, kein „Please“ – die Wiener Linien denken offenbar, dass sie denjenigen, die das mit der Maske noch immer nicht kapiert haben, keine Höflichkeit schulden. In diesem Zug wäre die Erinnerung überflüssig, alle sind von den Augen abwärts vorschriftsmäßig verhüllt. Nur das Baby auf dem Schoß der Dame, die den Viererplatz auf der anderen Seite des Ganges beansprucht, trägt keine Maske. Es sieht mich mit großen Augen an. Haben Babies früher nicht immer gelächelt? Oder haben sie nur zurückgelächelt, weil man sie angelächelt hat? Es ist ganz schwer, ein Baby nicht anzulächeln. Auch jetzt lächle ich – unter meiner Maske. Aber das weiß das Baby nicht, weil es nur meine halb angelaufene Brille sieht.

 

So viele Gesichtspunkte dieser Pandemie sind schon untersucht worden, aber weiß man, wie sich das Maskentragen auf Babies auswirkt? Früher war eine U-Bahn Fahrt für ein Baby die reine Freude – lauter Leute, die es anlächelten. Und heute? Masken und angelaufene Brillen. Was soll aus diesen Kindern werden – eine ganze Generation von unfreundlichen Grantscherben? Oder werden sie irgendwann an den Fältchen in den Augenwinkeln erkennen, ob jemand lächelt? Das Baby mir gegenüber nicht. Ich grinse es schon seit einer Station an und es schaut noch immer ernst drein. Seine Mutter schaut auf ihr Handy, die anderen Fahrgäste sehen mich nur von hinten oder sind zu weit weg, um mich beobachten zu können. Ich ziehe meine Maske vom Gesicht und lächle dem Baby zu. Es schaut mich noch immer erstaunt an und blickt fasziniert auf die Maske, die jetzt an meinem linken Ohr baumelt. Kein Lächeln. Der Zug bremst, ich setze die Maske wieder auf, um meine Aerosole für mich zu behalten. Die Mutter steckt das Handy ein, nimmt das Baby auf den Arm und steigt aus. Der Viererplatz bleibt leer.

 

Ich nehme mir vor, dass ich ab jetzt alle Leute anlächeln werde – auf der Straße, in der U-Bahn, im Aufzug, mit Maske oder ohne. Damit wir das Lächeln nicht verlernen, bis wir wieder einmal ohne Maske gehen können.